Vorstellung über meine Liebesbeziehungen
Meine Vorstellung, wie ich mir eine Liebesbeziehung wünsche, hat sich über die Jahrzehnte verändert. Bis vor sechs Jahren sah meine Vorstellung so aus, wie es mir die "gesellschaftliche Gehirnwäsche" vorgab: Eine monogame Ehe mit Kindern.
Erst kam mein Abschied vom Kinderwunsch, dann die gedankliche Öffnung für Liebesbeziehungen jenseits der Norm (= Monogamie). Ich machte erste Erfahrungen mit Polyamorie. Und mein vorher monogam geprägtes Bild wandelte sich in eins der Polyamorie: Mehrere Menschen haben ein "Beziehungsgeflecht" ("Polykül"), alle haben Konsens (Einvernehmen) und Wohlwollen dazu, sowie die Bereitschaft, sich ihre Themen anzuschauen, dafür die Verantwortung zu übernehmen und eine gute, ehrliche, transparente Kommunikation.
In meinem jetzigen Polykül erlebe ich, dass diese Eigenschaften bzw. Offenheit dafür nicht bei allen vorhanden sind, und auch der Konsens nach anfänglich anderer Aussage nicht mehr. Was nun? Wohin mit meiner Traumvorstellung von Polyamorie, in der gegenseitiges Wohlwollen und Konsens aller Beteiligten die Basis ist?
Heute ist mir klar geworden, dass ich es nicht mehr Polyamorie nennen möchte, weil es das aus meiner Sicht nicht ist. Womit es mir leichter fällt, meine gedankliche Vor-stellung aufzugeben, die mir im Wege steht: Die vor dem steht, was es an Alternativen gibt.
Ich gebe mir die Erlaubnis, jemand drittes, der mir Wohlwollen und Konsens für meine Liebesbeziehung entzieht, das auch nicht mehr entgegenbringen zu müssen. Das erleichtert mich. Wo ich mich vorher ohnmächtig gefühlt bzw. gedacht habe, schaue ich nun auf meinen Handlungsspielraum, den ich habe, meine Liebesbeziehung zu gestalten, ohne mich von hierarchischen Strukturen weiter einengen zu lassen. Ich mag dafür den Ansatz der Beziehungsanarchie (Anarchie = "ohne Herrschaft" / Aufhebung hierarchischer Strukturen), in dem jede Art von Beziehung individuell gestaltet wird.