Abschied nehmen

Ich sitze am Krankenhausbett meines Vaters, halte seine Hand und spüre, dass er meine drückt. Als erwachsene Frau habe ich nie seine Hand gehalten. Jetzt bin ich froh, wenigstens auf diese Weise mit ihm in Kontakt sein zu können.

Mir fällt es schwer anzusehen, wie die Maschinen ihn am Leben halten. Wie er dort liegt mit vielen Kabeln.

Wird er wieder aufwachen? In welchem Zustand? Wird er wieder sprechen können? Ein halbwegs eigenständiges Leben leben können? Was bekommt er noch mit? Was kann er wahrnehmen, fühlen? Leidet er? Ist das Leben so für ihn noch lebenswert?

Ich stelle mich darauf ein, dass es jederzeit vorbei sein kann. Spüre Trauer - und gleichzeitig Frieden damit, dass er vielleicht bald gehen wird.

Lautlos frage ich seine Seele, ob sie gehen, oder noch bleiben will. Keine Antwort. Ich denke in meinem Kopf, dass er gehen will. Ob das nur mein Schutz ist, damit der Schmerz nicht so groß ist, wenn es soweit ist? Vielleicht.

Meine Stimmung ein Auf und Ab zwischen Hoffnung, dass er sich wieder erholen wird, wieder "der alte" wird, und Schmerz, dass er ein krasser Pflegefall wird, nicht mehr ansprechbar.

Sein Zustand verschlechtert sich. Wir sind uns alle einig, dass er nicht leiden soll, so nicht weiterleben wollen würde und entscheiden, ihn sanft gehen zu lassen. Auf der Palliativ-Station ist er in liebe-vollen Händen gut versorgt.

Ein langes erfülltes Leben geht zu Ende. Er hat ein stolzes Alter erreicht, sein Leben gelebt. Abschied, Stück für Stück, Tag für Tag, ohne zu wissen, wieviele er noch hat.

Ich fühle viel Liebe, auch wenn ich mit manchem gehadert habe, wie er als Vater zu mir war.

Ich sitze vor seiner Zimmertür, während er gepflegt wird. Eine Pflegekraft kommt heraus uns sagt "Es ist soweit". Ich bin aufgeregt, gehe an sein Bett, sehe seine Hautverfärbung. Er atmet und bewegt sich nicht mehr. Ein letztes Geräusch aus seiner Kehle. Ich bin traurig, erleichtert und in Frieden, dass er es geschafft hat. Und dankbar, diesen Moment miterleben zu dürfen: Was für eine intime und liebe-volle Erfahrung.

Leb wohl und gute Reise! Ich liebe dich! Von Herzen Danke für alles! Ohne dich gäbe es mich nicht und ich wäre nicht die, die ich bin.

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Innerer Frieden statt (Bei)Leid (bzw. Leiden)

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Monogamie vs Beziehungsanarchie - Wie willst du l(i)eben?